Ein Tag im Boliversum
Das Bruckner Orchester Linz (BOL), das das klingende Epizentrum des heurigen Bruckner-Jahres ist, geht auf das alte Linzer Theaterorchester zurück, hat aber seinen Namen erst 1967 erhalten und somit nichts mit dem Reichs-Bruckner-Orchester des Nazi-Regimes zu tun. Der Name und die geografische Verortung bringen es mit sich, dass das BOL wie kein anderes Orchester dieser Welt dem Werk Anton Bruckners verpflichtet ist. Der Bruckner’sche Originalklang hat hier Heimat. Dies bedeutet nur dann etwas, wenn man den Klängen, den Partituren täglich neu auf der Spur ist. Der Dialekt macht es vielleicht leichter, die Musik zum Tanzen und Singen zu bringen. Dennoch spielen Musikerinnen und Musiker aus mehr als 25 Nationen im BOL, der gemeinsame Dialekt muss dabei immer wieder neu gefunden werden. Ein Orchester ist eine Spezialeinheit zur Schaffung von Zusammengehörigkeit und Gegenwart. Im Augenblick des Ereignisses eines Konzerts versammeln wir uns. Musik schafft es, uns in die Gegenwart zu setzen. Ein Orchester wird erst mit den Zuhörenden zu einem umfassenden Klangkörper. Ein Konzert wird zu einer Feuerstelle. Um klassische Musik zu hören, muss man sich üblicherweise in ein Konzerthaus setzen und ruhig sein.
Am 9. November lud das BOL zu einem offenen Tag in sein Boliversum. Man musste alles andere als stillsitzen und durfte inmitten des Orchesters, inmitten von Bruckners 7. Sinfonie Platz nehmen, mit den Spielenden auf Tuchfühlung gehen. Markus Poschner und das BOL boten im Hauptfoyer des Musiktheaters eine „Sternkostprobe“. Weiters gab es unterschiedliche Workshops, Führungen, Gesprächsformate oder Möglichkeiten zum Speed Dating mit Mitgliedern des BOL, die etwa die Frage nach den schwersten Musikersünden beantworteten. Im Musiktheatercafé erlebte man „Bruckner goes Wirtshaus“ oder das Atalante Quartett mit dem Streichquartett des Genius Loci. Der Orchesterkosmos wurde zu einem unmittelbaren und einmaligen Erfahrungsraum, der sehr viele Menschen angezogen und begeistert hat. Vermittlung heißt, die Räume öffnen, dies ist in diesem Jahr in vielerlei Hinsicht besonders gelungen.
Johannes Kepler lehrt uns in seinem Buch „Harmonices Mundi“ – die „Harmonik der Welt“ – in welchen Verhältnissen die Planeten um die Sonne laufen. Das fünfte Buch dieser bahnbrechenden Schrift wurde 1619 in Linz gedruckt. Diese physikalischen Gesetze gelten auch für uns Menschen, dafür gibt es keinen kulturellen oder nationalen Hintergrund. Seit Jahrtausenden sitzen wir um die Feuerstelle und machen Musik. Musik zieht keine Grenzen, sie umfasst. Musik ist unsere Herkunft und Zukunft.