Ausschnitt aus dem Aufführungskalendarium aus dem Stiftsarchiv St. Florian, Eintrag vom 31. Dezember 1849

Silvester 1849

Ein Artikel von Klaus Petermayr

Welches Tantum ergo Bruckners erklang zu Silvester 1849?

Im Archiv des Stiftes St. Florian werden vom Jahr 1838 an Aufführungskalendarien verwahrt, die wichtige Einblicke in die dortige Musikpflege geben (1). Bislang sind jedoch einzig die Jahre 1838 bis 1840 dokumentiert und ausgewertet (2). Die für die Bruckner-Forschung ungemein wichtige Quelle wird nun vollständig aufgearbeitet und vom Anton Bruckner Institut Linz zur Publikation vorbereitet. In den Kalendarien findet erstmals 1849 ein Werk Bruckners Erwähnung. Grund genug, dies näher zu betrachten.

Ausschnitt aus dem Aufführungskalendarium aus dem Stiftsarchiv St. Florian, Eintrag vom 31. Dezember 1849

Zum 31. Dezember 1849 heißt es:

[Tom. X, Pag. 54]

Am letzten Tage des Jahres:

Messe von Schiedermayr ex F.

Grad[uale] von Mich[ael] Haydn ex B. (Benedictus)

Offert[orium] d[etto] d[etto] ex B. (Lauda Deum)

Te Deum von Aumann ex B.

Tantum ergo von Bruckner ex B.

Der Eintrag dürfte von Franz Xaver Schäfler (um 1797–1852) vorgenommen worden sein, der nach dem Tod von Eduard Joseph Kurz (1783–1841) die Stiftsmusik leitete. Als Schäfler selbst 1852 starb, übernahm Ignaz Traumihler (1815–1884) das Amt des Regens chori. Zuvor hatte dieser die Stelle bereits von September 1842 bis September 1843 bekleidet.

Bruckners Tantum ergo bildete den Abschluss eines musikalisch breit und feierlich angelegten Gottesdienstes, der mit einer Messe in F-Dur von Johann Baptist Schiedermayr (1779–1840) begann. Aufgrund der ungenauen Angaben im Kalendarium, kann diese jedoch nicht näher bestimmt werden und auch in den Beständen des Stiftes hat sie sich nicht erhalten. In Frage kommen könnte ev. die Messe op. 27 für vier Singstimmen, zwei Trompeten, Pauken, zwei Hörner, zwei Klarinetten, zwei Violinen und Orgel, die Messe op. 31 für vier Singstimmen, zwei Hörner, zwei Klarinetten, zwei Violinen und Orgel oder die Messe op. 94 für vier Singstimmen, zwei Trompeten, Pauken, zwei Hörner, zwei Oboen, zwei Violinen und Orgel (3).

Zum Graduale erklang das Benedictus es Domine in B-Dur (MH 369) von Michael Haydn (1737–1806), das sich, besetzt mit vierstimmig gemischtem Chor, zwei Trompeten, Pauken, zwei Violinen und Orgel, in St. Florian besonderer Beliebtheit erfreute (4). Ebenfalls aus der Feder Michael Haydns stammte die Offertoriumsmotette Lauda Deum (MH 400) (5), die zum gemischten Chor lediglich eine Besetzung von zwei Violinen und Orgel verlangt und nach dem Graduale musiziert wurde. Den Höhepunkt bildete wohl das ebenfalls in B-Dur stehende Te Deum von Franz Joseph Aumann (1728–1797). Dieses im Stift singulär überlieferte Werk gelangte dort immer wieder zur Aufführung und verlangt neben dem üblichen gemischten Chor zwei Trompeten, Pauken, zwei Violinen und Orgel (6).

Es stellt sich nun die Frage, welche der zwei B-Dur Tantum ergo-Vertonungen (WAB 41/1 bzw. 44) von Bruckner zu Silvester 1849 erklangen. Das erste, vermutlich schon 1846 entstandene Werk ist lediglich mit einem vierstimmig gemischtem Chor besetzt, dem eine Ad libitum-Orgelstimme beigegeben ist (7). Als Ausklang eines ansonsten feierlich gestalteten Gottesdienstes scheint dieses bescheidene Werk kaum verwendbar gewesen zu sein. Mit ziemlicher Sicherheit in Frage kommt das Tantum ergo WAB 44 (8), welches neben dem Chor und der Orgel zwei Trompeten und zwei Violinen verlangt und wohl auch über eine Paukenstimme verfügt haben muss. Somit wäre Bruckners Komposition allerdings vorzudatieren, denn ihre Entstehung wurde bislang mit 1854 angenommen. Gemeinsam mit Aumanns B-Dur Te Deum erklang Bruckners Tantum ergo jedenfalls wieder 1851 am Namensfeste des Kaisers (4. Oktober) (9).

 


1 Fünf Kalendarien früherer Jahre sind verloren gegangen.
2 Walter Pass: Studie über Bruckner ersten St. Florianer Aufenthalt. In: Bruckner-Studien. Hg. Österreichische Akademie der Wissenschaften. Wien 1975, S. 11–51.
3 Vgl. http://opac.rism.info.
4 A-SF VI/279b/2.
5 A-SF VI/240b.
6 A-SF VI/17a.
7 A-SF 20-51.
8 A-SF 20-33.
9 Aufführungskalender Tom. X, S. 104.

Foto Klaus Petermayr

Klaus Petermayr

Geb. 1973 in Vöcklabruck. Ausbildung zum Koch, dann Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Salzburg und Wien. Vor allem im Bereich der Bruckner-, Volksmusik- und oberösterreichischen Musikgeschichtsforschung tätig. Seit 2019 Leiter der Sammlung Musik am Oberösterreichischen Landesmuseum (jetzt Landes Kultur-GmbH), Wissenschaftlicher Leiter des Anton Bruckner Institutes, Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Österreichischen Volksliedwerkes. Zahlreiche Publikationen. Lebt in Schörfling am Attersee.

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